Berlin – uff de Schrippe jenommen

Berlin – uff de Schrippe jenommen

Mit „Voll dit Leben!“ tritt der Berliner Cartoonist Sam in die Fußstapfen des berühmten Heinrich Zille. Jetzt ist das Buch erhältlich bei toonpool.com für 15 Euro.

Das Berliner „Milljöh“ ist untrennbar mit dem Namen Zille verbunden. Der berühmte „Pinsel-Heinich“ prägte wie kein anderer das Bild der preußischen Industriemetropole – ein Moloch aus Mietskasernen und Maschinenhallen, der den Menschen kaum Luft zum Atmen ließ. „Wenn ick will, kann ick Blut in den Schnee spucken… “, lautet ein bekannter Satz aus dem Mund eines schwindsüchtigen Zille-Kindes. Mit bitter-ironischem Witz hat der Berliner Grafiker und Karikaturist das Leben in den Hinterhöfen, Hurenhäusern und Arbeiterkaschemmen zu einer sozialkritischen Proletenidylle veredelt und dem Berliner Dialekt bis auf den heutigen Tag internationalen Kultstatus verliehen.

Inzwischen sind die Fabriken modernen Innovationszentren gewichen. Aus den Eckkneipen wurden Coffee-Shops. Und aus den Mietshäusern durchsanierte Mittelstandsquartiere für den urbanen Akademikernachwuchs. Ist Zille damit endgültig ein Fall fürs Museum?

sam paff voll dit leben preview

Nicht unbedingt: Mit Sam ist ein neuer Zeichner in die Fußstapfen des alten Meisters getreten und findet abseits der ausgetrampelten Szenepfade und Sightseeing-Touren noch genügend Stoff für seine Milieu-Studien. Es gibt sie noch, die „Ickes“ und „Kiekste was“, nur dass man sie nicht in der Ständigen Vertretung, im Borchardt oder in den zahllosen Strand-Cafés an der Spree trifft. Eher schon an der Wurst-Bude, wo eine Berliner Type das „Siebenjänge-Menü“ bestellt: „Eene Bratwurscht und ’n Sixpack Bier“. Sam, mit bürgerlichem Namen André Paff, holt sich seine Inspirationen aus Kneipen wie Puschel in der Potsdamer Straße oder dem Torpedokäfer im Prenzlauer Berg. Orten, an denen sich der selige Mief der Eckkneipe mit den bierschweren Ergüssen standorttreuer Tresen-Philosophen mischt.

Die Hölle, das ist nicht mehr ein Leben zwischen Kohlenschleppen und Kartoffelsuppe. Die Hölle, das sind die fortwährenden Kleinkriege mit aktuellen und verflossenen Lebenspartnern, die Widrigkeiten einer Hartz-IV-Existenz und die ewige Frage nach dem letzten Bier. Da sagt der Wirt zu Gast: „Du hast noch zwölf Bier vom letzten Mal uff’n Deck’l stehn.“ Sagt der Gast: „Kannste wegkippen, trinkt ‚eh keena mehr.“ Oder ein nackter Mann steht in der Wohnung und die Frau in der Tür sagt: „So meinte ick dit nich: Du bist ausjezogen, wenn ick nach Hause komm!“

sam paff voll dit leben preview


Auch der bayerische Tourist in der Lodenjoppe mit Hirschhornknöpfen bekommt sein Fett weg, etwa wenn er fragt: „Wie komme ich denn in den Zoo?“ – und die Antwort lautet: „Als wat denn?“ Unverkennbar, hier hat der berühmte Eckensteher Nante als Vorbild gedient. Wie überhaupt der berüchtigte Berliner Humor mit seinem Charme wie aufgekochtes Spülwasser bei Sam gut aufgehoben ist.

Inzwischen sind Sams Alttagsbetrachtungen fester Bestandteil in den Berliner Medien. Im „Berliner Kurier“ hat er täglich einen Cartoon und in der U-Bahn kann man seine Zeichnungen auf dem Monitor bewundern. Jetzt hat er ein Buch herausgebracht. In „Voll dit Leben!“ finden sich 128 seiner besten Zeichnungen – ein Sammelsurium aberwitziger Proleten-Poesie. Wie der der Trinker, der vor Kumpels noch mal sein Leben Revue passieren lässt:: „Also wenn ick noch mal uff de Welt komm, denn wäre ick jern so wie ick“?“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Karl Hermann
(toonpool.com)

Voll dit Leben! Sam, 128 Seiten, 15 Euro
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Das Buch „Voll dit Leben!“ ist der Auftakt einer Reihe von Cartoon-Büchern aus dem toonpool.com-Verlag. Cartoonisten, die an einer Buchveröffentlichung interessiert sind, können sich gern bei toonpool.com melden.

sam paff voll dit leben preview

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© toonpool.com
 

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