60 Jahre OL

OL ist Berlin-Cartoonist. Diese Berufsbezeichnung teilt er sich mit Fil, Gerhard Seyfried und vielleicht noch mit Altmeister Zille. Wobei Seyfried ja streng genommen Bayer ist und Zille eigentlich Maler war. Die meisten Sachen von Fil sind auch eher Comicstrips. Am 19. September wird die Ausstellung “60 Jahre OL” in der Kunstgießerei Flierl in Berlin-Weißensee eröffnet. Gezeigt werden die schönsten/klügsten/besten OL-Cartoons aus TIP, Berliner Zeitung und Jungle World. Neben den Cartoons werden auch Acrylbilder und Bronzearbeiten zu sehen sein. Und neue OLomaten.

… was sind OLomaten?

Früher auf dem Rummel hätte man dazu wahrscheinlich “Fotowände” gesagt – diese Dinger durch die man den Kopf durchstecken und sich fotografieren lassen kann.

Wie bist du auf die Idee dazu gekommen?

Ich arbeite gerne mit großen Formaten – ab und zu male ich zum Beispiel Wände in Kneipen oder Läden an. Das macht eigentlich mehr Spaß als immer diese kleinen Aquarelle.

Für die Ausstellung in der Kunstgießerei fehlten mir noch ein paar Gimmicks. Deshalb habe ich mir überlegt, so eine Fotowand zu machen – oder zwei, oder drei. Schließlich sind es dann fünf geworden. Ich hatte eigentlich kein Thema dafür, aber dann bin ich auf die Idee mit der “Be Berlin” Kampagne gekommen.

Wie stehst du zu der “echten” Be Berlin-Kampagne?

Das ist einfach Geldschneiderei. Ich finde die Kampagne grauenhaft – Peinlich für eine Weltstadt. Wie sollen denn Touristen das begreifen? Und für die ist das ja gemacht. Ich bin kein Nationalist, der auf die deutsche Sprache pocht, aber für mich ist das Teletubbies-Sprache.

Spätestens seit du angefangen hast, für den TIP den Cosmoproleten zu zeichnen, sind viele deiner Arbeiten Berlin-Cartoons…

Richtig.. beim TIP haben sie mich gefragt, ob ich nicht speziell für sie eine Comicfigur entwickeln könnte. Ich habe mich dann entschlossen, den Strip thematisch zum Heftthema zu machen, damit ich einen Aufhänger habe – ins Blaue hinein zu arbeiten ist schwierig. Naja.. und natürlich dreht sich beim TIP immer alles um irgendwelche Berlin-Events.

Die Hintergründe beim Cosmoproleten sind ja spezifische Berliner Locations.. Wie machst du das – zeichnest du vor Ort?

Nein – ich kann ja nicht wirklich zeichnen. Wenn ich zum Beispiel den Reichstag zeichnen muss, dann gehe ich ins Internet und suche ein Bild mit der passenden Perspektive.

Für Die Mütter vom Kollwitzplatz gehe ich aber tatsächlich dort hin und fotografiere. Da verändert sich ja auch immer etwas – es werden Bäume gefällt, neue Poller aufgestellt.. Sommer, Herbst und Winter. Ich möchte eigentlich, dass der Platz immer authentisch aussieht.

Ich glaube auch, dass die Leute es mögen, wenn sie einen Ort wieder erkennen. Wenn mir nichts einfällt, fange ich schon mal an, an dem Cartoon rumzuillustrieren. Dann wird das Bild wichtiger als der Witz, aber der Cartoon funktioniert trotzdem irgendwann.

Siehst du dich inzwischen selbst als Berlin-Cartoonist?

Weiß ich nicht.. Ich bin ja Berliner – was soll ich machen?

Du könntest ja auch Sachen zeichnen, die gar nichts mit der Stadt zu tun haben

Ja.. aber ich arbeite nun mal für Zeitungen, die hier erscheinen – für den TIP und die Berliner Zeitung. Da liegen solche Themen nahe und werden von den Lesern auch aufgenommen.

Du bist in Ostberlin aufgewachsen und kurz vor dem Mauerfall geflüchtet, danach hast du eine Weile in München gewohnt. Wann bist du wieder nach Berlin gezogen?

Noch während des Golfkriegs [1990-1991]. Ich war in München an einer Schule für Grafik und Gestaltung. Damals habe ich BAföG kassiert und diese Schule eigentlich nur besucht, weil ich keine Idee hatte was ich sonst machen sollte.

Die anderen Schüler dort kamen direkt von der Realschule und haben noch bei ihren Eltern gewohnt. Ich hatte ja schon einen Beruf – zu Ostzeiten hatte ich als Grafikdrucker gearbeitet. Als die Schulleitung dann auch noch verboten hat, zu den Anti-Kriegsdemos zu gehen, dachte ich “Ey, da bin ich echt zu alt für”.. und bin zurück nach Berlin gezogen.

Lange ausgehalten habe ich es da aber nicht. Ich bin dann mit meiner Freundin nach Brighton. Sie hat da studiert, ich hatte ein Stipendium von der Stiftung Kulturfonds. Das waren alte DDR-Gelder vom Kulturbund, die irgendwie verbraten werden mussten. Das Geld haben sie lieber Leuten gegeben, die jung waren und noch nicht so belastet waren. Außerdem habe ich von England aus für die Zitty gearbeitet. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich auch dort geblieben. Ich fand es da ganz schön.

Du wolltest nicht zurück nach Berlin?

Nee, ich wollte eigentlich weg hier. Ich fand das nach der Wende grauenhaft. Dieser ganze nationalistische Hype, die Neonazis. Ich bin ja aus der DDR abgehauen, nicht weil ich weg wollte, sondern weil ich weg musste. Letztlich war ich aber auch ganz froh weg zu sein. Dann war ich wieder hier… und alles war wie vorher.

Wieso bist du dann schließlich doch wieder hierher gezogen?

Naja, weil es am billigsten war. Und weil es meine Heimatstadt ist – da kommt man am besten klar. Wenn ich aus dem Ausland zurückkomme, ist es auch ganz schön, wieder Berliner Schnauze zu sprechen. Das ist wie ein Schutzschild – auch mit den Touristen. Wenn dir jemand dämlich kommt und du berlinerst… das ist so ein bisschen wie bellen.

Erlebst du jetzt 20 Jahre nach der Wende die Stadt als Großes Ganzes oder siehst du noch eine Trennung in Ost und West?

Ich sehe eher eine Trennung von alten Berlinern und dem, was jetzt aus der Stadt gemacht wird. Berlin wird zur Zeit richtig ausgelutscht. Die Stadt wird als Marke verkauft, Leute wie Brad Pitt ziehen hier hin und jemand wie Leonard Cohen sagt, dass Berlin so eine friedliche Stadt ist. Was dann passiert, ist dass sie Reihenhäuser bauen – Gated Communities wo die Tore abgeschlossen werden. Im Prinzip kommen lauter Leute her, die Angst haben. Man könnte sagen, dass sie wegen unseren Freiheiten herkommen und wir müssen mit ihren Ängsten leben.

Dieses Klima überträgt sich auf die gesamte Atmosphäre. Die Stadt verspießert total. Ich wohne am Kollwitzplatz, das ist grauenhaft. Da kommen Leute aus irgendwelchen Westprovinzen und bringen ihre Regeln mit. Die wollen, dass das jetzt hier genauso läuft wie auf dem Dorf wo sie herkommen.

…Aber ein bisschen zeichnest du ja auch für diese Leute, oder?

Naja..also, eigentlich zeichne ich für Geld. Ich arbeite für die Zeitungen und habe keinen Einfluss darauf, wer die liest. Andererseits, weiß ich natürlich schon ungefähr für wen ich zeichne, wenn ich für die Jungle World zeichne und für wen ich in der Berliner Zeitung zeichne. Gerade bei der Berliner Zeitung sind viele Leser Ostler und vielleicht doch eher Berliner.

Magst du deine Cartoons für die Berliner Zeitung lieber als andere? Oder, anders gefragt, magst du eine bestimmte Sparte deiner Cartoons besonders?

Vielleicht die Cartoons, die ich für die Jungle World mache, weil ich mich da nicht zusammenreißen muss. Die zahlen so wenig, dass sie nehmen müssen, was sie kriegen. Wenn ich mal einen Witz mache, bei dem ich denke “OK, der ist jetzt vielleicht nicht witzig, und den versteht keiner” – aber ich finde ihn selber lustig, dann wird der eher bei der Jungle World veröffentlicht. Den Cosmoproleten finde ich aber eigentlich auch schön, weil ich da rumspielen und auch die Stadt und ihre Architektur zeigen kann.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!

Paul Hellmich


Toonpool.com verlost eine Original-Skizze von OL. Um teilzunehmen, posten Sie einen Kommentar zu diesem OL-Cartoon bei toonpool.com. Es gewinnt der originellste Kommentar (auf den sich eine fachkundige Jury zu einigen haben wird). Das Gewinnspiel beginnt am 10.9. 2010, Teilnahmeschluss ist der 10.10. 2010.  Um die Arbeit für die Jury in einem überschaubaren Rahmen zu halten, wird pro User nur der erste im Teilnahmezeitraum gepostete Kommentar gewertet. Der Gewinner bzw. die Gewinnerin wird von uns per Email benachrichtigt, der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Spaß!


60 Jahre OL – Eine Retrospektive
Witze & Cartoons aus 2 Jahrhunderten

19.9. 2010 – 29.10. 2010
Kunstgießerei Flierl

Friesickestraße 17
13086 Berlin-Weißensee

Öffnungszeiten: Mo – Mi, Fr 10 – 16 Uhr Di und Do 12 – 18 Uhr

Eintritt frei!

Beginn der Ausstellung mit Hoffest und Reinfeierlichkeiten in den 60. von OL am Sonntag, den 19.9. 2010 um 16 Uhr

Laudatio: Rattelschneck
Musik: The Delightful & Delicious Laura Bean & Susanna Berivan

29.10. 2010: Finissage mit spektakulärem Showgießen von OLs Bronzearbeiten

© toonpool.com
 

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6 Responses to “60 Jahre OL”

  1. tbird says:

    tolles inteview!

  2. Ricco says:

    Informatives Interview und Klasse Cartoons! TOP!
    Weiter so OL!

  3. Hayati says:

    je OLler desto doller ! Weiter so OL!

  4. Ina says:

    Den Cartoon in der Sauna wünschen sich bestimmt viele Männer als OLomaten!!!

  5. robert says:

    ol is king! und jeder schwabenhorst sollte sich des meisterns meinung mal genau reinziehen. eventuell versteht er dann, warum so viele berliner euch nicht leiden können. da hilft auch nicht das studium der neon oder des spiegels.

  6. Olli says:

    Ziemlich groß und nicht artig, einfach großartig.
    Olli (Kampagnen-resistent) aus Oldenburg (-aha, daher!!) grüßt OL

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