Ein Mann geht an die Decke

Die toonpool-Zeichnerin Katharina Greve, Jahrgang 1972, hat gerade ihren ersten Comic-Roman im Leipziger Verlag Die Biblyothek veröffentlicht. Hauptperson ist der Fahrstuhlführer Franz Fink, der im Berliner Fernsehturm tagein, tagaus Touristenmassen in seinem voll gestopften Lift hinauf und hinab fährt. Auch sein übriges Leben, das er mit seiner Frau, zwei Katzen und vielen Kartons teilt, ist klein und beengt. Sein sehnlichster Wunsch: mehr Platz! Doch dann, eines Tages, stolpert Franz im Schaft des Turms in eine Parallelwelt, in der sich Menschen von der Schwerkraft emanzipiert haben und einfach an Wand und Decke leben. Emotionale und räumliche Verwirrungen warten auf ihn und stellen sein Leben wortwörtlich auf den Kopf.

Du zeichnest eigentlich Cartoons und Comic-Strips. Warum jetzt plötzlich ein ganzer Comic-Roman?
So plötzlich war das nicht. Ich habe vier Jahre an dem Buch gearbeitet von der ersten Idee bis zum Druck, natürlich mit Unterbrechungen. Reine Zeichenzeit für Storyboard, Skizzen und Tuschezeichnung waren so ungefähr drei Monate. Ich mag das Kurze und Prägnante beim Cartoon, aber es reizt mich genauso, längere, komplexere Geschichten zu erzählen. Und dafür ist der Comic ein perfektes Medium. Man kann alles gleichzeitig sein: Drehbuchautor, Regisseur, Szenograf, Maske und Kostümbildner – nur einen Produzenten, also Verleger, braucht man noch.

Was haben Deine Cartoons und der Comic gemeinsam? Gibt es Parallelen?
Der Humor ist schon gleich. Dabei ist der Comic etwas leiser als die Cartoons. Um wieder den Vergleich zum Film zu ziehen: es ist eine klassische Komödie mit komischen Charakteren, Verwicklungen und einem Happy End.

Wie bist du auf die Geschichte gekommen? Warum der Berliner Fernsehturm?
Ich lebe in Berlin und mag den Fernsehturm einfach sehr gern. Er ist mein Hauptorientierungspunkt in der Stadt. Jedes Mal, wenn ich bei einem Besuch mit dem Aufzug nach oben fahre, frage ich mich, was um mich herum im Schaft passiert. Das sind mehrere tausend Kubikmeter umschlossener Raum, zu dem kein Besucher Zutritt hat. Dieser Raum ist also sehr geheim, obwohl der Turm an sich so präsent in der Stadt steht. Dazu kommt, dass ich mir als Kind oft vorgestellt habe, an der Decke zu laufen.

Die Handlung ist eng mit der Architektur verknüpft und die schwarzweißen Zeichnungen sind sehr klar und einfach. Ist da die Architektin in Dir durchgekommen?
Ja, tatsächlich hatte ich beim Zeichnen das Gefühl, dass ich jetzt endlich weiß, warum ich Architektur studiert habe. Das war also nicht umsonst. Die Panels sind sehr gerade aufgebaut, es gibt keine schrägen, überzogenen Perspektiven, dafür aber einige Gebäudeschnitte, damit der Leser die räumliche Verdrehung nachvollziehen kann. Das sieht dann so aus, dass die Menschen, die im Turm an der Wand laufen, sich auf den Bildern senkrecht an der rechten Bildkante bewegen.

Mit dieser Raumdrehung spielst Du auch mit den Möglichkeiten des Comics. Ich hatte zum Beispiel beim Lesen das Bedürfnis, das Buch zu drehen. Aber der Text in den Sprechblasen ist in normaler Leserichtung angeordnet. Soll man das Buch gar nicht drehen?
Es darf natürlich jeder das Buch lesen, wie er will. Ich habe das so angeordnet, weil ich und der normale Leser ja mit der normalen Gravitation leben. Wir blicken in die andere Welt, die um 90 oder 180 Grad gekippt ist, nur hinein. Ein wenig verwirren kann und darf das natürlich.

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Das waren jetzt eher formale Fragen. Kommen wir zum Inhalt. Was sind das für Menschen, die dort im Fernsehturm leben? Haben die übernatürliche Kräfte?
Nein. Das mag sich jetzt seltsam anhören, da sie ja an der Wand laufen können und das kennt man nur von Superhelden wie Spiderman. Aber es sind ganz normale Leute. Die weibliche Hauptperson Gabi zum Beispiel ist eine etwas pummelige Frau, die verzweifelt auf der Suche nach einem Mann ist. Sie belegt Kurse wie „Ohne Schokolade leben“. Und irgendwann hat sie mal einen Kurs gemacht, in dem sie eben gelernt hat, ohne Schwerkraft zu leben. Der Fahrstuhlführer Franz ist auch ein ganz normaler Typ, der einfach auf der Suche nach persönlichem Freiraum ist. Am Ende schafft er es, die Erkenntnisse, die er im Turm gesammelt hat, auf sein Leben zu übertragen und seine Probleme zu lösen. Damit ist er kein Superheld, sondern eher ein Alltagsheld.

Wie ist denn eigentlich das Leben ohne Schwerkraft?
Genauso wie mit ohne Schokolade, nur eben mit ohne Schwerkraft, wie die Gabi aus dem Buch sagen würde. Das bringt natürlich ein paar Schwierigkeiten mit sich: Die Möbel müssen an die Wand gedübelt werden und auch das Trinken in dieser Position will gelernt sein.

Wie viel Autobiografisches steckt in der Geschichte?
In jeder Geschichte steckt ein wenig von einem selbst. Aber ich gehöre nicht zu den Comic-Autoren, die ihr eigenes Leben aufzeichnen. Die Fiktion hat den großen Vorteil, Geschichten verallgemeinern und sie gleichzeitig verdichten und auf den Punkt bringen zu können. Ich bin zum Beispiel keine Fahrstuhlführerin und habe mich auch nicht von Schokolade emanzipiert. Am ehesten kenne ich die Suche nach dem eigenen Freiraum – und das ist sicher eine Lebensfrage für viele. Ich habe, zumindest für die nächste Zeit, eine Lösung für dieses Problem gefunden.

Und die wäre?
Comics zeichnen.

Auch wenn Du keine Comics über Dein Leben zeichnest, vielleicht erzählst Du etwas von Dir. Wie sieht es zum Beispiel an Deiner Decke aus?
Da hängt ein verchromter, italienischer Leuchter aus den 60er Jahren mit passenden Energiesparlampen. Die waren in der Anschaffung teurer als der Leuchter. Ansonsten müsste die Decke dringend mal wieder gestrichen werden – übrigens nicht wegen irgendwelcher Fußspuren.

Und wenn Dir die Deck auf den Kopf fällt?
Glücklicherweise bietet Berlin viel unterschiedliche Zerstreuung für diesen Fall an. Gestern zum Beispiel war ich bei einer sehr kurzweiligen Lesebühne und morgen gehe ich zum Zahnarzt.

Die letzte Frage: Gibt es eine Fortsetzung von „Ein Mann geht an die Decke“?
Wenn, dann mache ich es wie George Lucas bei Krieg der Sterne: Dann gibt es die Geschichte davor, die erzählt, warum die Leute im Fernsehturm so leben, wie sie leben.

Vanessa Oxygen
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EIN MANN GEHT AN DIE DECKE von Katharina Greve
Verlag: Die Biblyothek, Leipzig
ISBN13: 978-398104806-3
48 Seiten, Hardcover, 19 x 26 cm, 1-farbig, 1. Auflage: 10/2009, 14,- EUR
Mit einem Vorwort von Günter M. Ziegler, Professor für Diskrete Geometrie, TU Berlin und Leiter des Medienbüros der Deutschen Mathematiker-Vereinigung
www.ein-mann-geht-an-die-decke.de

Ein Mann geht an die Decke Cover

© toonpool.com
 

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