Seit dem 30. April läuft im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung “Helden, Freaks und Superrabbis”. Anhand von mehr als 400 Originalzeichnungen, Skizzen und Comic-Heften wird darin der Beitrag jüdischer Zeichner, Texter und Verleger zur Entwicklung des Comics gewürdigt. Zu den ausgestellten Künstlern zählen Vertreter des frühen Comic-Strips wie Milt Gross, Legenden wie Will Eisner (“The Spirit”, “A Contract With God”) und Jack Kirby (…viele, viele Marvel-Helden, u.a. Fantastic Four) sowie Zeichner wie Art Spiegelman (“Maus”) und Ben Katchor (“The Jew of New York”).
Kunsthistoriker und Comicexperte Jens Meinrenken war als wissenschaftlicher Berater an der Konzeption der Ausstellung beteiligt. Für den Katalog zur Ausstellung (120 S., 19,80 Euro) verfasste er einen Artikel zu amerikanischen Superhelden und ihren jüdischen Wurzeln.
Jens, die Ausstellung “Helden, Freaks und Superrabbis” lief ja bereits in Paris und Amsterdam, wurde aber für Berlin umkonzipiert und erweitert. Was genau wurde denn verändert?
Die Ausstellung wurde neben Paris und Amsterdam auch in Frankfurt und in Australien gezeigt. Soweit ich die verschiedenen Stationen überblicke, habe alle vier Orte eine eigene Form der Präsentation gefunden.
Die Unterschiede liegen in der Auswahl der Exponate, dem Verhältnis von Originalen und Reproduktionen und in der Ausstellungsarchitektur. Zum Beispiel sind in Berlin keine Zeichnungen von Hugo Pratt zu sehen, dafür wird versucht, die jüdischen Comicstrips von Samuel Zagat oder Zuni Maud stärker in die Entwicklungsgeschichte des amerikanischen Zeitungscomics einzubinden, beginnend mit Yellow Kid und der dortigen Darstellung des Immigranten-Milieus.
Welche Rolle hast Du bei der Umgestaltung gespielt?
Ich hatte die Rolle eines wissenschaftlichen Beraters zusammen mit Jens Balzer und Katja Lüthge. Jeder von uns hat verschiedene Ausstellungsbereiche zugewiesen bekommen, die wir dann auf der Grundlage der früheren Ausstellungen in Paris und Frankfurt konzeptuell überarbeitet haben. Die weiteren kuratorischen Aufgaben und die Entscheidung, welche Exponate tatsächlich gezeigt werden können, lagen allein in den Händen des Jüdischen Museums von Berlin. Wobei ich betonen möchte, dass ich die Zusammenarbeit als sehr angenehm und konstruktiv empfunden habe.
Was war Dein persönlicher Zugang zu dem Thema? Hattest Du dich vorher schon einmal mit spezifisch ‘jüdischen’ Comics beschäftigt?
Ich kannte die Sachen von Joann Sfar durch die deutschen Ausgaben aus dem avant Verlag und hatte bereits ein paar Aufsätze und Bücher zu dem Thema gelesen. Außerdem bin ich ein großer Fan von James Sturm und Ben Katchor. Für die Ausstellung habe ich mich gründlich in das Thema eingearbeitet. Ein kleiner Teil der Recherche findet sich in meinem Katalogbeitrag “Eine jüdische Geschichte der Superhelden-Comics” wieder.
Gibt es einen Teil der Ausstellung, der Dir besonders am Herzen liegt?
Nein. Die Ausstellung sollte als Ganzes wahrgenommen werden – mit ihren Brüchen, Wiederholungen, Details und auch Ungenauigkeiten. Nur so begreift man die Komplexität des Themas und bekommt ein Gefühl für die Fähigkeit des Comics, soziale, politische oder religiöse Inhalte optisch und sprachlich auf den Punkt zu bringen.
Was für Kontinuitäten gibt es überhaupt in einem Themenbereich der von frühen Zeitungsstrips bis zu modernden Graphic Novels reicht?
Kontinuitäten entstehen aus der Rückschau und Reflexion. Ein gutes Beispiel hierfür sind die ausgestellten Zeitungsseiten von Art Spiegelmans “Im Schatten keiner Türme”. Dort präsentiert sich Spiegelman als tanzende Wonder Woman und zitiert darüber hinaus viele Figuren des frühen amerikanischen Comics. Diese Form der Travestie hat ihre eigentlichen Wurzeln in der politischen Karikatur und Satire des 19. Jahrhunderts.
Ein anderes Beispiel sind die Zeichnungen von Will Eisner zu Beginn der Ausstellung, auf denen er in Form eines Künstler-Porträts über die Rolle des Comiczeichners sinniert.
Beim Lesen der Infotexte ist mir aufgefallen, dass die meisten der Künstler die in der Ausstellung behandelt werden aus den USA stammen oder zumindest dort gewirkt haben. Was für eine Rolle spielen jüdische Künstler für die europäische Comic-Szene?
Diese Frage wird in der Ausstellung nur angeschnitten. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass viele der gezeigten Comiczeichner ihre familiären Wurzeln in Europa haben, deren Vorfahren nach Amerika eingewandert sind. Sicherlich werden einige Kenner der Materie René Goscinny in der Ausstellung vermissen, aber ich denke, dass mit Joann Sfar einer der momentan produktivsten jüdischen Comic-Künstler aus Frankreich vertreten ist.
Unter “Helden” und “Freaks” kann ich mir comictechisch noch etwas vorstellen, aber worauf beziehen sich die “Superrabbis” im Titel der Ausstellung?
Das ist ein Rätsel, dass der Besucher der Ausstellung für sich selbst lösen muss…
Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast!
“Helden, Freaks und Superrabbis”
30. April bis 8. August 2010
Jüdisches Museum Berlin, Altbau, 1. Obergeschoss
Montag: 10-22 Uhr, Dienstag-Sonntag: 10-20 Uhr
Eintritt: 4 Euro, ermäßigt 2 Euro
Katalog (120 S.) : 19,80 Euro
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